Hans Meiser – auch ein Fernsehereignis
Verschnaufen, wenn die Kamera läuft / Von Adrienne Braun
Sein Kennzeichen ist die Mittelmäßigkeit. Wenn Hans Meiser vor der Kamera erscheint, wird dem Zuschauer sofort wohlig ums Herz: hier ist er Mensch, hier darf er entspannt in den Banalitäten des Lebens baden, den Kümmernissen Wildfremder lauschen. Sei es der Hund der Schwiegereltern, der im Sandkasten sein Geschäft erledigt, sei es der Ehemann, der sein Auto mehr als seine Frau liebt – kein Problem ist Meiser zu gering, als daß er es nicht debattieren wollte. Hans Meiser ist der gute Verständnisonkel. Er fühlt mit, dieser Biedermann, der schon seit drei Jahren jeden Nachmittag mit seiner Talk-Show rund fünf Millionen Zuschauer vor die Flimmerkiste lockt.
Dabei hat er nichts, was ihn von der völligen Durchschnittlichkeit abheben würde. Ihm fehlen das lose Mundwerk und die erschlagende Dynamik seiner Kollegin Margarethe Schreinemakers, seine Themen sind von anderem Niveau als die in Bioleks Plauderstündchen. Weder ist Meiser besonders attraktiv noch hervorstechend charmant. Kühne Schlagfertigkeit gehört sowenig zu seinen Eigenschaften wie Esprit. Er wippt ungelenk vor der Kamera auf und ab, findet die Stichworte auf seinen Notizkarten nicht. Kurz, ein Mensch wie du und ich, mit grauen Haaren und manchmal auch Schnupfen, mit Familie daheim und Hündchen. Einer, den man sympathisch findet, aber niemals beneiden würde, weil ihm so ganz der Glimmer des Prominenten fehlt. Einer, den man gern zum Kaffeeklatsch ins Wohnzimmer läßt, weil er einen glauben macht, nicht besser als jeder von uns zu sein.
Hans Meiser – der Mann mit dem schier grenzenlosen Mitgefühl, dieser vertrauenswürdige Beichtvater, dem seine Gäste offenherzig all das anvertrauen, was man eigentlich gar nicht wissen will. Alles in dieser täglichen Stunde Meiser ist entsetzlich ernst und seriös. Es liegt eine merkwürdige Bedeutsamkeit in der Luft, wenn der junge Mann aus Dorsten erzählt, daß er ein Hundeklo im Garten eingerichtet hat; flirrende Aufmerksamkeit macht sich breit, als das junge Paar detailgenau berichtet, wann es Fieber gemessen, wann sich vereinigt hat, um auch wirklich ein Töchterchen zu zeugen.
Wer aber ist dieser graue Herr mit dem schlechtsitzenden Anzug, der so aufmerksam über Pokneifer und Busengrapscher diskutiert, den nichts brennender zu interessieren scheint als die Frage, ob Dicksein nun schön ist oder nicht? Nichts, aber auch gar nichts scheint der reale Hans Meiser mit diesem gemütlichen Beichtvater vor der Kamera gemein zu haben. „Sie sind in echt ja viel jünger als im Fernsehen“, staunt eine Frau, die in wenigen Minuten mit Meiser über ihre zweite Ehe diskutieren soll. Hans Meiser, das Chamäleon, der Manager und Sprücheklopfer, der seriöse Journalist und kollegiale Chef – Nervenbündel und Flitzebogen.
Hinter der täglichen Stunde Meiser steckt ein kleines Medienimperium – Meisers Imperium, an dem er und seine Frau zu knapp 50 Prozent beteiligt sind. Als ihm RTL vor drei Jahren anbot, eine Nachmittags-Talk-Show zu produzieren, hängte der langjährige Nachrichtenredakteur kurzerhand seinen Job an den Nagel und gründete sein eigenes Unternehmen CreaTV in Köln. Meisers Mittagsplausch und auch sein Notruf am Abend hatten durchschlagenden Erfolg, und CreaTV ist in kurzer Zeit zu einer personalintensiven Produktionsfirma geworden, die Meiser von seinem modischen Schreibtisch aus wie ein Bankdirektor regiert. Einen Auftrag nach dem anderen zieht er an Land, seine neueste Entdeckung ist Bärbel Schäfer, sein weibliches Pendant von 14 bis 15 Uhr, etwas jünger, etwas flotter – für all jene, die Meiser selbst nicht erreichen kann.
Hans Meiser ist ein Hansdampf. Wie ein Kreisel saust er durchs Leben, rennt vom Fototermin ins Studio, ist heute zum Dreh auf Mallorca und kurz drauf schon wieder der Manager mit Aktenköfferchen. Immer nur Zeit fürs Nötigste. Die Uhr führt ein strenges Regiment, dem sich das Arbeitstier Meiser ergeben fügt. „Hopp, Kinder, könnt ihr die Debatte später ohne mich führen“, unterbricht er und treibt sein junges Redaktionsteam an, das ihm noch die letzten Informationen für die bevorstehende Sendung gibt. Der Sendeplan ist kaum durchgesprochen, da hängt Meiser schon wieder am Telefon, hetzt von einem Büro ins nächste, vergißt einen Besucher.
Er führt einen beständigen Kampf mit der Zeit, versucht Minuten rauszuschinden, um sie doch wieder nur vollzupropfen mit neuen Terminen. Lebensmüde ist, wer sich freiwillig zu Meiser ins Auto setzt, außer Atem kommt, wer ihm auf den Fersen bleiben will. „Mit Hans Meiser geht man nicht essen“, erzählt seine Assistentin, „man rennt mit ihm essen.“ Immer auf Volldampf, immer auf Hochtouren, körperlich wie geistig. Kein Satz, der nicht für kurze Anweisungen unterbrochen würde, kein Gespräch, bei dem Meiser nicht plötzlich irgendeine Banalität in den Sinn kommt, die eben noch gesagt sein will. Meiser, der Dynamiker mit Neigung zur Magenschleimhautentzündung, der Tausendsassa, der das Leben voll auskostet, aber keine Zeit mehr hat, um zu schmecken, was er ißt.
Hans Meiser ist gefragt. Nicht nur bei seinen Zuschauern, sondern auch als Produzent, der den Krimi genauso professionell auf den Markt wirft wie irgendeine Serie oder Talk-Show. Er genießt es, heute hier, morgen dort zu sein, scheint alles probieren zu wollen, was Medienwelt und Leben zu bieten haben. Doch der Jet-setter will sich dem Jet-setten nicht gänzlich ergeben. Fast rührend, wie Meiser einen Kampf ums Privatleben ausficht, wie er der Frau, den Töchtern, dem Hund gerecht werden, sich ihnen gebührend widmen will – freilich ohne auch nur einen Job sausen zu lassen. Er gehört zu der Sorte Prominenter, die beständig gegen Starallüren anzugehen versuchen, die bewußt das Wir dem Ich vorziehen, die kollegial sein wollen in einer Welt, in der eigentlich weder Zeit noch Kraft bleibt, um auf andere Rücksicht zu nehmen.
Doch Meiser will gemocht werden und bemüht sich redlich um Umsicht und Freundlichkeit. Wenn er kurz vor der Sendung in den Warteraum kommt, in dem seine Gesprächspartner bei Lachshäppchen sitzen und nervös plappernd auf die Show warten, dann schaltet Meiser von 300 auf – sagen wir mal – 150 runter, läßt die Aura des streßgeplagten Managers hinter sich, beruhigt, ermutigt, versteht, scherzt. Er weiß, wie er die Menschen nehmen muß. In den 20 Minuten, in denen man die letzten Absprachen trifft, bevor die Kameras erbarmungslos jedes Wort in die Welt hinaustragen, öffnet Hans Meiser die Herzen, indem er von daheim erzählt und Anekdoten vom Stapel läßt.
Während die Zeit nun unbeirrbar fortrückt, die Kameras schon auf Position sind, das zurechtgeputzte Publikum wartet und die Live-Schaltung nur noch Sekunden entfernt ist, jetzt plötzlich scheint Hans Meiser zur Ruhe zu kommen. Die Ansteckmikrofone werden noch einmal zurechtgerückt, mit der Puderquaste wird über glänzende Nasen getupft. Mit stoischer Ruhe hält Meiser seine Karteikarten in der Hand, scherzt noch hier und da, kommentiert die Werbung, und da, fast hätte er den Anfang verpaßt, würde das Publikum nicht brav auf Kommando zum Begrüßungsapplaus ansetzen. Da ist er wieder, der liebenswerte Gesprächsonkel, der Freund am Nachmittag, der ein Herz für Dicke hat und Verständnis für Sex mit dem Ex. Kaum steht dieser vollendete Routinier vor der Kamera, scheint er wie geläutert. Schweigen legt sich über den Saal, angespannte Stille. Wenn bei anderen die Hände feucht werden und das Herz höher schlägt, kommt Hans Meiser zur Ruhe. Zu spät ist es, um noch Anweisungen geben zu können, zu exakt ist der Zeitplan bemessen, als daß man noch Sekunden für neue Projekte herausschinden könnte. Endlich muß, ja kann Meiser zuhören, schweigen. Meisers Talk-Show ist Meisers Therapie. Den ganzen Tag über powert er sich aus, zwischen vier und fünf am Nachmittag aber kehrt Ruhe ein in das ständig ratternde Motorenwerk des Medienmenschen.
Erst wenn der letzte Werbeblock das Ende der Sendung einläutet, wenn die Kameraleute zur Kaffeepause gehen und das Publikum mit all den Eindrücken im Herzen ins Freie drängt, schaltet Meiser wieder in den nächsten Gang. Autogrammkarten werden für Kinder und Kindeskinder seiner Gäste unterschrieben, man ruft Meiser ans Telefon, und schon warten im Nebenraum die Gesprächspartner für die bevorstehende Sendung, die, vorproduziert, die fünf Millionen Zuschauer über Meisers Urlaubs- und Krankheitstage hinüberretten wird. Schon hat die Welt wieder ihren Hans Meiser, der rennt, hastet, organisiert. So lange, bis ihm die nächste Sendung wieder eine Verschnaufpause vom Leben gönnen wird. Endlich ist auch Hans Meiser wieder Mensch geworden, der sich hingebungsvoll dem Alltäglichen widmen kann, den Banalitäten und Belanglosigkeiten – ein Mensch wie du und ich.
©1995 Stuttgarter Zeitung