Die Kollegen schmatzen nicht

Jeden Samstag schreibt Adrienne Braun über Pleiten, Pech und Pannen. Jetzt sind ihre StZ-Kolumnen als Buch erschienen.

INTERVIEW Am besten wird man mit den Misslichkeiten des Lebens fertig, wenn man über sie lacht, meint die StZ-Kolumnistin Adrienne Braun. Woche für Woche spießt sie Kuriositäten in der Sprache auf. Im Interview erzählt sie, wie es zu ihrer Leidenschaft für Denglisch, Werbesprache und Wortgeklimper kam und was das über uns Menschen verrät.

Frau Braun, worüber sollen wir als Erstes sprechen, über die journalistisch-literarische Form der Kolumne oder über Ihren Freundeskreis?

Über meine armen Freundinnen und Freunde stand ja schon so ziemlich alles in der Zeitung, das wäre vielleicht langweilig. Also könnten wir über die journalistisch-literarische Form sprechen. Wobei es sehr nett ist, dass Sie das so formulieren, aber „literarisch“ scheint mir doch etwas hoch gegriffen.

Gut. Ist meine Einschätzung richtig, dass Sie die journalistisch-literarische Form der Kolumne durch die intensive Einarbeitung von Erlebnissen mit und in Ihrem Freundeskreis entscheidend weiterentwickeln wollte.

Jemine, das ist jetzt aber eine sehr schwere Frage. Haben Sie nicht etwas Leichteres im Angebot?

Okay. Wann und wie haben Sie denn Ihr Talent zum Schreiben entdeckt?

Am Anfang stand das Leben. Genauer gesagt hatte ich einen Waschmaschinenmonteur bestellt, weil meine Wäsche nicht mehr sauber wurde. Er hat mir in einem sehr munteren Gespräch erklärt, dass meine Maschine verfettet sei. Deshalb solle ich künftig auf Olivenöl und Cremes verzichten, nur noch dunkle Kleidung tragen und mir aus Amerika mal anständiges Waschmittel mitbringen lassen. Als ich im Büro erzählte, was mich dieser Rat gekostet hat, ermunterten mich die Kollegen, das aufzuschreiben – und die erste Kolumne ward geboren.

Das ist hübsch. Aber ich meinte eigentlich viel früher. Zum Beispiel in der Pubertät! Haben Sie da Gedichte geschrieben? Oder mit Ihren Eltern Fernsehtalkshow gespielt?

In der Pubertät habe ich ein einziges Liebesgedicht geschrieben, sogar in Englisch. Das freut mich, dass ich das endlich mal vortragen darf: „When I’m walking, you’re with me. When I’m playing, you are with me. Even when I’m alone: You are always with me.“ Muss man das jetzt übersetzen, oder erschließt sich der Sinn auch so? Aber bevor Sie gleich fragen: ich kann mich leider nicht erinnern, wer mich zu diesem ausdrucksstarken Gedicht inspiriert hat. Aber ansonsten hatte ich ein ganz normale Kindheit mit Waltons, „Dalli Dalli“, Geräteturnen, Klavierüben und Barbapapas. Falls die hier noch jemand kennt.

Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie tauen gar nicht auf. Stimmt es eigentlich, dass Journalisten so wie Clowns nur in der Öffentlichkeit lustig sind, dagegen in echt stets still und melancholisch?

Ich kenne einige Journalisten, die ziemlich humorlos sind. Aber ich für meinen Teil bin privat alles andere als still, sondern rede und lache eigentlich gern. Anders würde ich mit all den Misslichkeiten wohl gar nicht fertig werden, als aus ihnen lustige Anekdötchen zu machen, die man im Alltag weiterreicht zur allgemeinen Erheiterung. Ob es Peinlichkeiten oder Kränkungen sind, mit dem Erzählen – oder Schreiben – werden die Erlebnisse leichter und leichter, bis sie schließlich verarbeitet sind.

Wobei das schöne Gedicht mich daran erinnerte, dass in vielen Ihrer Glossen die Sprache eine große Rolle spielt. Sie spielen mit absurden Begriffen und Formulierungen. Gell, das macht Ihnen Freude, das Verdrehen von und das Jonglieren mit den Worten?

Ja, da haben Sie recht. Einerseits ist es sensationell, was aus der Sprache gemacht wird – sei es Denglisch, Computer- oder Werbesprache, das ist ja eine wahre Fundgrube. Aber mich fasziniert auch, wie Sprache im direkten Kontakt verwendet wird, wie wenig es oft darum geht, sich verständlich zu machen und auszutauschen, sondern darum, sich zu profilieren oder das Gegenüber abzuwerten. Es ist schon erstaunlich, wie viel die Sprache über die psychische Konstitution verrät. Deshalb ertappe ich mich häufig dabei, dass ich gar nicht zuhöre, was die Leute sagen, sondern nur noch staune, wie sie es tun . . .

Haben Sie etwas gegen Denglisch?

Nein, es kann durchaus kreativ und erheiternd sein, Sprache spielerisch zu nutzen. Auf Wortschöpfungen wie Magic-Mopp-System oder Reinigungshandschuh Mach 6 mit 13 Millimeter Florhöhe muss man erst einmal kommen. Ich arbeite zwar im Feuilleton, bin aber keine Sprachpolizistin, die überzeugt ist, dass mit dem Genitiv das gesamte Abendland untergehen wird. Mich interessieren vor allem die Eitelkeiten und Profilneurosen, die über die Sprache zum Ausdruck kommen. Wenn jemand sagt „das ist so was von behind“, ist nicht das Denglische albern, sondern der Sprecher.

Muss eine Journalistin immer bei der Wahrheit bleiben?

Aber selbstverständlich! Wir von der Zeitung lügen doch nicht! Als Kolumnistin darf man sich aber, nun ja, gewisse Freiheiten herausnehmen. Allein wegen des Persönlichkeitsschutzes armer Freundinnen und Freunde, die gnadenlos ins Rampenlicht gerückt werden. Ein Freund sitzt zum Beispiel immer mit Ohrstöpseln in der Stadtbahn. Einmal hat sich ein Kind von hinten angepirscht und versucht, die Stöpsel rauszufummeln. Ich habe den Freund gefragt, ob ich diese Anekdote verwenden dürfe, aber da er große Angst hatte, erkannt zu werden, habe ich dann eben die Farbe der Stöpsel verändert. Da nehme ich es mit der Wahrheit nicht so genau.

Das klingt sehr verantwortungsvoll. Andererseits gibt es da diese Kolumne, in der Sie behaupten, Ihre Kolleginnen und Kollegen würden schmatzen . . .

Sehen Sie, jetzt sind wir doch noch bei der Literatur gelandet. Das „Schmatzen“ war hier übertragen gemeint im Sinne von: es sich lustvoll schmecken lassen. Natürlich essen meine Kollegen nicht laut schmatzend. Höchstens mal einer.

Über diese Antwort muss ich noch mal genau nachdenken. Finden Sie generell, die Menschen sollten mehr nachdenken?

Einigen Menschen würde es nicht schaden, über sich selbst nachzudenken und in Betracht zu ziehen, dass sie am schwierigen Miteinander auch Anteile haben könnten. Aber wahrscheinlich ist das der pure Neid meinerseits, weil ich es nicht fertigbringe, hemmungslos beleidigt zu sein oder anderen ins Gesicht zu sagen, dass sie allein schuld sind – während ich unfehlbar bin. Mit so viel Ignoranz und Selbstgewissheit scheint es sich gut zu leben, davon hätte ich manchmal gern ein Scheibchen ab.

Inzwischen hab ich gerade mal in Grimms Wörterbuch nachgeguckt. Da ist von „Schmatzen“ in Ihrem Sinn kein bisschen die Rede. Sei’s drum. Haben Sie denn jetzt im Rückblick womöglich doch die eine oder andere Kolumne bereut und nicht in Ihr Buch aufgenommen?

Ich bin mal wegen Geschwindigkeitsübertretung geblitzt worden. Das Beweisfoto wurde an „Herrn Braun“ geschickt. Daraus habe ich eine Kolumne gemacht über Identität und speziell mein Äußeres. Das hätte ich vielleicht besser gelassen, seither kommentieren – vor allem Leserinnen – meine Frisur, geben Ratschläge oder beschweren sich, wenn Ihnen mein Foto nicht gefällt. Das ist manchmal herb, wenn man Leserpost bekommt: „Tauschen Sie das neue Foto sofort wieder aus. Es ist grauenvoll!“

Wobei ich finde, Ihr Buch ist wirklich schön geworden. Und die Zeichnung vorn ist genau getroffen!

Warten wir’s ab. Ich könnte wetten, dass mich eine Kollegin oder Leserin beiseitenimmt und sagt: „Sie sollten sich dringend eine neue Frisur zulegen. Lassen Sie sich das von Frau zu Frau gesagt sein.“

Zum Schluss noch mal: dieser Kollege, der angeblich schmatzt, Frau Braun, bin ich’s?

Ach, Herr Schleider . . .

Das Gespräch führte Tim Schleider.

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