Sarah Kanes Stück „Zerbombt“ am Schauspiel Stuttgart
Cate kann sich gerade noch ins Badezimmer flüchten, als der junge Soldat im Zimmer steht. Jetzt ist Ian an der Reihe, jetzt wird er „gefickt“, so grob und viehisch, wie Ian selbst kurz vorher Cate vergewaltigt hat – die dumme Cate, dieses zurückgebliebene Mädchen, das noch am Daumen nuckelt und für keinen Job geeignet ist. Aber ihre Dummheit machte Ian an: „Nimm ihn in den Mund.“
Sarah Kanes Stück „Zerbombt“ beginnt mit einem Tête-à-tête, wie es zigfach in Hotelzimmern stattfindet. Geplapper von Liebe, Kabbeleien, Machtspiele. Dann aber bricht auf diesen wenigen Quadratmetern die Gewalt in aller Wucht durch – seelische, sexuelle und kriegerische Gewalt. David Bösch hat „Zerbombt“ für das Schauspiel Stuttgart inszeniert. In der Außenspielstätte Nord verwüstet Cate zunächst mit einer harmlosen Tüte Erdnüsse das Liebesnest, dann aber stürzt das gesamte Hotel donnergrollend ein und von der Decke prasseln Gesteinsbrocken auf den kackbraunen Veloursteppich.
Als „Sex- and Sodomie-Kid“ wurde Sarah Kane bezeichnet, deren Gewaltphantasien ab Mitte der Neunzigerjahre die Theater eroberten und in England auf Empörung stießen. „Ekelhaftes Fest der Unflat“ schrieb die britische Presse nach der Uraufführung ihres Erstlings „Zerbombt“ 1995. Denn dieser Ian ist ein seelisch verkrüppelter Geheimdienstkämpfer, aggressiv und mit rassistischem Vokabular: „Nigger“, „Kanakenstaat“, „scheißdreckige Fußballfans“. Der Soldat, der in das Hotelzimmer eindringt, hat Männer „an ihren Hoden aufgehängt“, Frauen vergewaltigt, „die Jüngste war zwölf“. Und in der qualvollsten Szene des Stückes, die an Shakespeares „King Lear“ und in ihrer Brutalität auch an Edward Bond erinnert, reißt der Soldat Ian die Augen aus und isst sie. In England wurden daraufhin Rufe nach Zensur laut.
Der Regisseur David Bösch nähert sich diesen Gewaltexzessen mit Distanz. Beiläufig, fast diskret wird der Ekel hier verhandelt, um den Vorwurf plumper Provokation erst gar nicht aufkommen zu lassen. Anstelle von Splatter, Sex und Sperma kündigt er die rohe Gewalt durch ein lautes, bedrohliches Brummen aus den Lautsprechern an. Lediglich Blutspuren an der Kleidung erzählen von den Übergriffen. „Er erschießt sich“, schreibt der junge Soldat langsam an die Wand – und geht ab.
„Es gibt keinen Gott, keinen Weihnachtsmann, kein Elfenland, kein scheiß gar nichts“, sagt Ian, der sich selbst nur noch erträgt, wenn er Cate demütigt. Robert Kuchenbuch spielt ihn als einen müde gewordenen Zyniker, für den das Quälen längst alltäglich ist. Zart und anrührend wirkt neben ihm Maja Beckmann, die als zurückgebliebene Cate wacker versucht, seiner Bestialität Paroli zu bieten. Indem die Regie auf laute Grobheiten verzichtet, vermittelt sie, dass Ian und den Soldaten nicht Wahn oder Verzweiflung antreiben, sondern sie bei durchaus klarem Verstand quälen und foltern. Es treibt sie ein dumpfer Automatismus, als sei Bestialität eine Grundkonstante des menschlichen Seins.
Böschs besonnener Erzählstil offenbart aber auch die Lücken im Stück. Denn Kane erklärt nicht genau, was diese drei Personen zusammengebracht hat und an welchen Fronten dieser Krieg ausgefochten wird. Die Figuren sind unstet und widersprüchlich, sie sprechen reflektiert über Einsamkeit und Verzweiflung – und schlagen im nächsten Moment viehisch zu .
Die Belagerung von Srebrenica gab Kane den Anstoß zu „Zerbombt“. Sie wollte zeigen, welche seelischen Deformationen der Krieg hervorbringt und wie er die Menschen pervertiert. So endet „Zerbombt“ in Düsternis, auch wenn Cate sich in dieser trostlosen Trümmerlandschaft einen Rest Liebe bewahrt und mit dem blinden Ian ihr Essen teilt. Sie sei eine hoffnungslose Romantikerin, hat Sarah Kane einmal gesagt – und ist wohl deshalb an der Härte des Seins gescheitert. Mit 28 Jahren erhängte sie sich. ADRIENNE BRAUN
Süddeutsche Zeitung, 5.März 2014