ART Magazin Dezember 2013
Kommentar
Von Adrienne Braun
Museumsleute sind Kenner. Ob es um Kreuzigung, Kolorit oder Krakelee geht – für jede Fragestellung gibt es Experten. Was aber wissen Museen über die Rezeption von Kunst? Und vor allem: Was wollen sie Ihrem Publikum überhaupt vermitteln? Bis heute ist es gängige Praxis, dass sich Sammlungen am kunsthistorischen Kanon orientieren. Kanon – das klingt nüchtern und sachlich, suggeriert Kompetenz und Neutralität. Hier die Niederländer, dort die Kubisten, altdeutsche Malerei und Kunst nach 1945. Epochen, Stile, Ismen.
Dabei sind diese Kategorien nicht mehr als Werkzeuge, um sich zu orientieren in der Kunstgeschichte, die mäandert und voller Widersprüche steckt. Dem Selbstzweck sollten diese Klassifikationen nicht dienen, zumal sie durchaus unzureichend sind. Das wissen die Museen selbst am besten. Sie stoßen an Grenzen, weshalb sie selbstverständlich in ihren Sammlungen die Chronologie aufbrechen und monografische Räume einschieben, Stile akzentuieren oder Gattungen bündeln. Der Kanon benennt Epochen und Zeitfenster. In der Staatsgalerie Stuttgart sind das 1480 bis 1700 niederländische Malerei, 1300 bis 1800 italienische Malerei und so fort. Dabei wird – nicht nur hier – nicht erwähnt, dass es sich um künstlich gesetzte Fixpunkte im steten Fluss der Kunst handelt.
Zeitgemäße Wissenschaft aber sollte sich selbst reflektieren, Grenzen benennen. Eine seriöse Sammlungspräsentation müsste entsprechend vermitteln, dass ihre Kategorien durchlässig sind und dass sie selbst alles andere als neutral ist. Denn jede Hängung verrät eine Handschrift. In Stuttgart etwa wurden Bilder meist symmetrisch gehängt und nach Größen und Farben der Rahmen arrangiert. Es wurde also sehr wohl ein Ordnungssystem formuliert, eine Logik behauptet – wenn auch jenseits der Bildinhalte.
Vor allem kulturhistorische Museen, aber auch einige Kunstsammlungen versuchen, ihre Inhalte lebendiger zu präsentieren. Die Tendenz, die Werke dabei zu inszenieren, mag nicht jedem Kurator behagen. Der reine Kanon aber macht Museen starr – und ist zudem oft unpädagogisch: Man kann Landschaftsdarstellungen in die Epochen einsortieren. Aber zeigen sich die spezifischen Qualitäten nicht eher, wenn sie sich nebeneinander vergleichen lassen?
Wer ein Museum nur als begehbares Lexikon begreift, der beschneidet die Kunst und degradiert sie dazu, nur den Kanon zu illustrieren. Die Kunst ist nicht dafür da, die Kunstgeschichte zu untermauern. Und sie braucht sicher auch kein Publikum, das nur Jahreszahlen und Ismen nachplappert.